Montag, 10. September 2018

Ich bin kein Mensch, wenn ich allein bin.



Wenn wir über Reisen reden, dann entsteht schnell diese wundervolle Vorstellung: Neue Menschen kennenlernen. Spaziergänge in fremden Städten, wo verlaufen ein muss ist. Das Entdecken von neuen Gässchen. Paulo Cohelo schrieb mal: Wenn ich einen Reiseführer schreiben würde, dann bestünde er nur aus leeren Seiten, damit sich die Leute von ihren Plänen lösen und sich einfach verlieren (paraphrasiert). Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie privilegiert man sein muss, um sowas zu schreiben. Ohne Karten, bestimmte Orte und Uhrzeiten, wann es für Frauen sicher ist, würde ich nie auch nur die äußere Hauswand meiner Unterkunft sehen. 

In meiner ersten Woche hier, war ich dauernd mit Typen unterwegs. An jeder Straßenecke versteckten sich Geschichten. In der Medina, der Altstadt von Fez (Marokko, wo ich gerade bin), erzählten mir Geschäfteigentümer von ihren Leben, die in der Form, in Deutschland gar nicht hätten passieren könnten. Es war wie ein konstanter Traum. Die Leute aus den Cafés schüttelten meine Hände und erzählten mir von verlorener Liebe. 

Und dann, reisten meine männlichen Freunde weiter und ich blieb hier. Gewöhnt an die Großherzigkeit. An diese neue Energie, einer neuen Stadt. Ich brannte darauf meinen neuen Freundinnen, diese Stadt zu zeigen, musste aber feststellen: Mit meinen männlichen Freunden, war auch diese Stadt verschwunden.

Auf einmal konnte ich nicht mal mehr mit Menschen reden. Die, die anständig waren schwiegen und der Rest belästigte mich auf’s gröbste. Selbst fünf Minuten vor dem Eingang meiner Unterkunft zu warten, wird zur Qual. Einmal wollten meine Freundin und ich, in eine nahegelegene Bar gehen, konnten nicht, weil uns nach 10 Metern ein Auto anfing zu verfolgen und immer wieder neben uns anhielt. Wir kehrten um. Hängten es ab und verkrochen uns in ein anderes Café, das näher war und das wir kannten. Ich wäre am liebsten gleich zurück in mein Zimmer gegangen. Den ganzen Abend ließ  mich die Panik nicht los, dass die Typen uns finden würden. 

Es ist eine Form Freiheits-Entzug. Ein Junge von hier meinte: Wenn du mit einem Mann unterwegs bist, gehen sie davon aus, dass er es dir ‚erlaubt hat‘. Wenn du allein bist ‚gehörst du noch niemanden‘. Auf gewisse Art und Weise zieht sich diese Betrachtung von Frauen über Landes- und Kontinentsgrenzen hinweg. Auch wenn die meisten meiner dt. Freunde es vielleicht nicht so ausdrücken würden.

Klar, es gibt Frauen, denen ist das scheiß egal. Es gibt auch Frauen, die vielleicht einfach nicht auffallen. Aber ich kann hier nicht mal mein Hostel verlassen um in den Supermarkt neben an zu gehen. Selbst dort, lauern andere Kunden und Kassierer wie blutrünstige Hunde. 

Ich ziehe automatisch den Vergleich zu Deutschland. Fakt ist, dass es in Deutschland nicht so schlimm ist. Zumindest für weiße Mädchen. Auch wenn ich mich in Deutschland nicht 100% sicher fühle und ich sehr wohl auch schon in Leipzig meinen Kaffee halb ausgetrunken habe stehen lassen, bestimmte Clubs nicht mehr betrete und manche Straßen meide. Es ist mehr Raum da. Die verbale Gewalt ist nicht so erdrückend.


Frauen die alleine in Cafés sitzen oder in Clubs gehen, werden selten allein gelassen. Männer sitzen häufig allein in einer Bar, Frauen sind immer mindestens zu zweit. Mein bester Freund und ich hatten mal diese Unterhaltung. An welchen Orten es sich gut sitzen lässt um zu schreiben. Die Cafes in denen ich alleine sitze sind sehr wenige. Meistens die, wo ich weiß, das überwiegend Frauen sind. Selbst wenn niemand rüber kommt, das ständige Starren belastet einen. 

Auch wenn ich mir theoretisch über all das bewusst war, ist mir erst gestern der Unterschied wirklich klar geworden. Wenn du Frau bist, bist du kein Mensch. Nicht wirklich. Du wirst immer im Bezug auf deine fickbarkeit gesehen. So unangenehm das klingt. Du bist immer erst Objekt der Begierde. Selbst meine feministischsten männlichen Freunde glauben es ist irgendwie normal, bei Frauenkörpern immer zuerst an Sex zu denken. Das ist es nicht. Bei Körpern sollte immer zuerst der Gedanke Mensch sein. Aber das ist nicht der Fall. Ich werde mich nie komplett frei bewegen können. Nie mein Haus verlassen können ohne zu überdenken wo ich bin, wer da sein könnte etc. 

Ich werde nie ein freier Mensch sein.

Mittwoch, 5. September 2018

Konzerte sind schön, Antirassismus ist immer noch verdammt schwer

65 ooo Menschen standen gemeinsam gegen Rassismus. Okay. Sind wir ehrlich, die standen nicht da, um gegen Rassismus zu protestieren. Die meisten waren da um KIZ zu feiern. Aber es ist okay. Sie standen gemeinsam. Nach so einer Woche tut jegliche Form von Solidarität gut, oder? 

Ganz ehrlich: Nein. 
Klar, das Konzert war ne geile Idee. Es war großartig. Aber ihr wollt mir doch nicht ernsthaft verklickern, dass es nicht Rassismus ist, geschweige denn Anti-Rassismus, wenn ein Haufen Deutscher Männer, die Diskriminierung und Angst von marginalisierten Menschen für ihre eigenen Promo ausnutzen. Und das haben sie gemacht. Stop kidding yourself. Klar, wenn sie nichts gesagt hätten (so wie die dt. Nationalmannschaft lol) dann wäre es genauso Scheiße, aber es muss halt nicht entweder oder sein. Es gibt endlose POC Künstler, die sich gegen Rassismus einsetzten. Warum sollten Bands wie KIZ oder die Ärzte ihre Namen nicht benutzen, um diesen Menschen - ihr wisst schon: DIE DIE TATSÄCHLICH BETROFFEN SIND - endlich Gehör zu verschaffen. Sie an dem eigenen Privileg teilhaben zu lassen? Natürlich haben sich diese Bands schon immer für den guten Zweck eingesetzt. Aber, versteht ihr denn nicht, das es Rassismus ist sich als nicht Betroffene Person in den Mittelpunkt von Diskriminierung zu stellen.? 

Mich nervt, das die Meisten es nicht richtig machen wollen. Sie wollen es probieren und dafür gelobt werden. A for Effort, u know? Wieso um Himmels Willen, solltet ihr gelobt werden dafür, dass ihr das tut was eigentlich selbstverständlich sein sollte? Wenn wir von B_PoC verlangen, sie sollen DANKBAR sein dafür, dass sich andere bemühen gegen Unmenschlichkeit und Grausamkeit vorzugehen, dann sagen wir eigentlich: 
„Du hast kein bedingungsloses Anrecht auf Menschlichkeit, deswegen sei froh, dass wir es dir trotzdem geben“. Und wenn das kein Rassismus ist, weiß ich auch nicht mehr.

Chemnitz war ein guter Versuch. Aber wir müssen es besser machen. Wir müssen uns mehr anstrengen. Es war ein guter Versuch, aber versuchen reicht nicht. Wenn ihr euch bemüht und jemand Betroffenes kritisiert was ihr tut: Mund halten und zuhören. Hört euch die Kritik an und macht es nochmal und besser. 

Produktiv gegen Rassismus vorzugehen tut weh. Manchmal weiß man gar nicht, wie rassistisch Menschen, die wir lieben sind, bis wir sie darauf ansprechen. Wir glauben, es bleibt bei dem einen Kommentar und denken nicht darüber nach, wie viel eigentlich hinter so einem Kommentar steckt. Und was passiert, wenn die Person B_POC gegenüber sitzt. Jemand der Polenwitze reißt, wird wahrscheinlich auch automatisch seine Handtasche an sich randrücken, wenn eine Person den Bus/ das Wartezimmer etc betritt, den sie als ‚Ausländer‘ einstuft. 

Und dann kommen wir zu einem der am wenigsten verstandenen Dinge überhaupt: 

Verinnerlichte Diskriminierungsstrukturen. 

If you don’t know, now you know: Du bist wahrscheinlich rassistisch, homophob, sexistisch, transmisogyn, klassistisch und was es sonst noch für -ismen gibt. Das ist leider üblich und wahrscheinlich unvermeidlich. Aber das macht es deswegen nicht okay. Deine Mikroaggressionen tun Menschen weh. Konstant, immer und immer wieder. Und solange du sie nicht anerkennst und etwas dagegen tust, bist du Rassist. Aus Ende. Und das ist ziemlich scheiße. Mir fällt auf, bei vielen meiner Diskussionen, dass die meisten Menschen bereits daran scheitern a) zu erkennen, dass sie diese überhaupt besitzen und b) dass sie verdammt nochmal verletzend sind. Und wenn du diese Arbeit an dir selbst nicht leistest, verletzt du Menschen weiterhin, weil du zu faul bist, dich zu ändern.

 Diese Diskussionen mit meinen Freunden/Familie/Bekannten zu führen machen keinen Spaß. Sie sind verletztend und demütigend und 95% der Zeit ‚verlierst‘ du, weil drei Weißdeutsche Jungs ohne MGH sich gegenseitig versichern, dass sie bestimmt nicht rassistisch sind. 

Ein weiterer großer Teil von Anti-Rassismus ist auf der Straße was zu sagen. In öffentlichen Räumen. Manchmal ist es schwerer, manchmal leichter. Wenn im linken Connewitz in Leipzig jemand einen Ausländer anschreit, wirst du oft nicht die einzige sein, die was sagt. Zwei/Drei Stationen weiter Richtung Zentrum, schon eher. (Und viele Leipziger werden jetzt auf das Linkssein der Südvorstadt plädieren, but boy oh boy) Es ist auf jeden Fall scheiße. Es macht dich fertig. Es macht dich traurig. Den Mund aufmachen, um eine Fremde Person vor einen anderen fremden Person kostet dich nicht nur Kraft. Man macht sich auf alle möglichen Art und Weisen verletzlich: Was ist wenn alle anderen auf mich einreden? Was ist wenn die andere Person gar nicht beschützt werden will? Was ist… Was ist… Was ist…? 

Aber rate mal, wer nicht die Wahl hat. Wer sich diese Fragen nicht stellen kann? Welche Person keine Entscheidungsfreiheit hat?

Antirassismus ist hart. Er ist schwer und zermürbend. Er macht traurig und frisst Energie. Wisst ihr warum so viele B_POC ihn sich trotzdem antun? Weil die Alternative schlimmer ist. Und die Alternative sind eure Privilegien. Die, die ihr auf unsere Kosten bekommt. 



Und Schweigen gehört definitiv dazu.

Vorwurf/Entschuldigung

Gibst du mir Recht? Für die Male, die ich versagt habe. Ich weiß, ich rechtfertige mich mal wieder, schon wieder, aber vor dir mehr...